KOMMENTAR

 

(keine) Geduld mit Bührle

von Kai Geiger, Herausgeber arttourist

Am 9. Oktober eröffnete der spektakuläre Erweiterungsbau des Kunsthaus Zürich, der vom britischen Architekten David Chipperfield und seinem Team gebaut wurde. Damit ist das Kunsthaus Zürich das größte Kunstmuseum der Schweiz und mit den Sammlungen Bührle, Merzbacher und ihrem Bestand nach Paris das wichtigste Haus für Impressionismus in Europa. Inmitten der Stadt bildet das Kunsthaus Zürich mit Erweiterungsbau, dem Schauspielhaus und zahlreichen benachbarten Galerien eine Kunstmeile um den Heimplatz. Störend ist allein der aus allen Richtungen kreuzende Verkehr, dessen Neuregelung eine Herausforderung für die Stadt- und Verkehrsplaner der Stadt Zürich darstellen wird. Ein großzügiger Platz mit Café, ein Ort zum Verweilen, ein Ort der Begegnung und gesellschaftlich kunstsinnigen Lebens würde der Wahrnehmung, der Entfaltung der Gebäude und den Genuss der dort stattfindenden Kultur sicherlich einen Mehrwert bescheren, Sinn machen und allemal wünschenswert sein.

Die Eröffnung wurde begleitet von immer neuen Details, historischen Erkenntnissen, Artikeln und Wortmeldungen rings um die Sammlung Bührle, deren Unternehmensgeschichte und Kriegsvergangenheit, der Handhabung und dem Umgang damit im Kunsthaus Zürich. Viel Kritik musste die Kunsthausleitung und die Stadt Zürich einstecken. Doch deswegen die Kunst, die wunderbaren Kunstwerke, eine beeindruckende Sammlung nicht zeigen? Die Kunst „selbst“ und deren Betrachter für das Sammeln dieser und das Sein und Tun der Familie Bührle verantwortlich machen, und die Kunstinteressenten von heute dafür zu „strafen“? Nein. Man muss die Kunst zeigen, die Geschichte bewusst und in allen Details visualisieren, die Kritik ernst(er) nehmen und es als deutlichen Weckruf und klaren Auftrag verstehen sich weiter, intensiver und umfassender mit der Sammlung Bührle, deren Geschichte und der Herkunft und Beschaffungshistorie der Kunstwerke auseinanderzusetzen. Die Kritiker und Mahner, die Besucher, Zeitzeugen und Chronisten wie die junge Generation müssen in diesen Prozess einbezogen und zu einem offenen Dialog eingeladen werden. Darin besteht eine große Chance für neue, andere Erkenntnisse, eine veränderte, bewusste Wahrnehmung und Spannung in der Kunstpräsentation und einer musealen Auseinandersetzung mit der Sammlung und den Besuchern des Museums, wie als Bestandteil von digitalen und audiovisuellen Führungen und Begleitprogrammen.

Anne Demeester, belgische Literaturwissenschaftlerin, Kunstkritikerin und Museumsleiterin, die ich vor Jahren als Assistentin von Jan Hoet kennengelernt habe, wird ab dem 1. Januar 2023 die Leitung des Kunsthaus Zürich übernehmen und bereits ab Mitte 2022 erste Akzente setzen. Anne Demeester kommt aus einem Land, wo man sich in den letzten Jahren, nach der Eröffnung des Afrikamuseums 2018 in Tervuren vor den Toren von Brüssel, auf Druck intensiv mit dem Thema Raubkunst auseinandergesetzt hat. Es wurde eine Internetplattform initiiert, auf die mehrere belgische Museen Kunstwerke eingestellt haben, die möglicherweise Raubkunst sind, um dadurch mit rechtmäßigen Eigentümern und Nachkommen in Kontakt zu kommen. Belgien ist das einzige Land der Welt, das einen systematischen Ansatz für die Rückgabe von kolonialer Raubkunst entwickelt hat. In diesem Jahr wurden die ersten Kunstwerke und Objekte des Afrika Museums im Rahmen des Restitution Prozesses an die Demokratische Republik Kongo zurückgegeben.

Mit diesem Prozess und den Erkenntnissen aus Belgien wird Anne Demeester sich dieser Aufgabe gewissenhaft stellen und einen anderen Ansatz, Umgang und Herangehensweise mit der Sammlung Bührle einbringen. Das erfordert Geduld.